Aus der Solothurner Zeitung und im Grenchner Tagblatt vom 2. August 2023, Text und Bilder: Andreas Toggweiler
Es gehört zu den schönsten Gebäuden 1975–2000: Schweizer Heimatschutz zeichnet Grenchner Wohnhaus aus.
Das Wohnhaus von Remo und Jacqueline Bill in Grenchen erhält den architektonischen Ritterschlag des Schweizer Heimatschutzes. Gebaut wurde es von Fritz Haller, dem berühmten Erfinder der USM-Möbel.
Das Wohnhaus der Familie Bill an der Jurastrasse 101 ist etwas Besonderes. Der Bau aus Stahl und Glas ist ein ehemaliger Ausstellungsstand für Möbel von USM Haller für die Hannovermesse 1974 und stand danach während zehn Jahren als Büropavillon bei USM in Deutschland.
Das Gebäude steht seit 1986 in Grenchen und wurde 2008 auch im Zusammenhang mit der Verleihung des Wakkerpreises an Grenchen erwähnt. Dieser stand im Zusammenhang mit der Erhaltung von modernen Nachkriegsbauten in der Uhrenstadt.
Jetzt kommt das Gebäude wieder ins Rampenlicht. Das Wohnhaus Bill wurde vom Schweizer Heimatschutz zu einem der 100 schönsten Gebäude der Schweiz erkoren, die in der Periode zwischen 1975 und 2000 erbaut wurden.
«Das baukulturelle Schaffen in der Schweiz zwischen 1975 und 2000 hatte zur Zeit seiner Entstehung auch international grosse Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Heutige Stararchitekten wie Mario Botta, Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron gründeten damals ihre Büros und wurden schnell erfolgreich.» Dies schreibt der Heimatschutz auf dem Onlineportal der Kampagne Baukultur 1975–2000.
Die Baukultur 1975–2000 brauche mehr Aufmerksamkeit, meint der Heimatschutz. Und das nicht irgendwann, sondern heute: «Die Investitions- und Erneuerungszyklen der Bau- und Immobilienwirtschaft haben sich stark verku?rzt und setzen die Baukultur 1975–2000 unter enormen Druck.» Beispielhaft dafür stehen laut der Kampagne der geplante Abriss der Siedlung Brunaupark in Zürich von Stücheli Architekten (1980–1996) oder die Planspiele um den Abbruch eines Gebäudes des Altersheims Masans in Chur von Peter Zumthor (1990–1993).
«Es droht eine Generation von hochwertigen Baudenkmälern unreflektiert abgebrochen oder unsorgfältig transformiert zu werden, ohne dass eine vertiefte Auseinandersetzung u?ber ihre Werte und Potenziale stattgefunden hat», so der Heimatschutz weiter. Ein stärkeres Bewusstsein für diese Werte und Qualitäten helfe mit, Abbrüche zu vermeiden und die Verschwendung von grauer Energie und Treibhausgase zu reduzieren.
Aus diesem Grund wurden 100 Bauten in der ganzen Schweiz auf einer Liste zusammengestellt. Dazu gehören nur drei Gebäude aus dem Kanton Solothurn: Das Wohn- und Geschäftshaus der Suva an der Schänzlistrasse in Solothurn (1999), dIe Wohnüberbauung Hofstatt in Kappel (1982) und das Wohnhaus Bill in Grenchen (1986).
Remo Bill, selber Architekt und Vize-Stadtpräsident von Grenchen, gibt seiner Freude Ausdruck, dass sein Haus vom Heimatschutz geadelt wird: «Ich fühle mich sehr geehrt», sagt der ehemalige Mitarbeiter von Fritz Haller.
Ein Haus, das schon dreimal aufgebaut wurde
Bill ist beeindruckt von der Arbeit seines ehemaligen Chefs, die in die Annalen des guten Designs eingegangen ist. Es erstaunt deshalb nicht, dass Bill den USM-Pavillon 1984, als er nicht mehr gebraucht wurde, erwarb und zunächst einlagerte, bis er in Grenchen ein geeignetes Stück Land fand, um das Gebäude als Wohnhaus neu aufzubauen.
Es ist somit schon der dritte Standort des Gebäudes im modularen Bausystem «Mini» von Fritz Haller. Das unterkellerte zweistöckige Gebäude ist nach hallerschem Systembau-Grundraster (Quadrate in der Seitenlänge von 1,2 m bzw. ein Mehrfaches davon) aufgebaut. Das lichtdurchflutete Haus mit weissem Marmorboden ist natürlich mit USM und weiteren Designmöbeln wie etwa Freischwingerstühlen von Breuer möbliert.
Es ist allerdings energietechnisch anspruchsvoll. Bill hat inzwischen auf dem Nebengebäude eine Solaranlage installiert.
Die Kampagne des Heimatschutzes ist ein Anschlussprogramm eines ähnlichen Projekts für die Jahre 1960–1975, zu dem auch ein Buch erschienen ist. Ein solches wird es auch zu den jetzt neu ausgewählten Gebäuden geben.
Die 100 ausgewählten Gebäude werden schon jetzt auf einer Website vorgestellt. Sie zeigt die Vielfalt des architektonischen Schaffens dieser Periode. Wenig vertreten ist die postmoderne Strömung der 1980er-Jahre. Der beru?hmte Name Calatrava hat immerhin diesem (umstrittenen) Stil mit dem Bahnhof Stadelhofen den Eingang in die Auswahl geöffnet. Auch das Gymnasium Nyon, ein Geschäftshaus von Mario Botta in Lugano und ein Wohnblock in Basel schafften es «trotz» postmodernen Einflu?ssen auf die Liste.
Postmoderne: Exotisch und bei Puristen verpönt
Die aus den USA stammende architektonische Postmoderne wurde in der Schweiz im Vergleich zum Ausland denn auch wenig und zurückhaltend angewendet. Architektur-Puristen rümpfen ob den verspielten Versatzstücken aus vergangenen Epochen noch immer die Nase und längst ist man zum Kistli-Stil der Moderne zuru?ckgekehrt.
In Grenchen gibt es aber eine prominente postmoderne Wohnüberbauung: die Freimatt mit zehn Wohnblöcken von 1990. Auf der architektonischen Spielwiese auf der Freiestrasse hat kaum ein Haus denselben Grundriss wie das andere und es strotzt nur so von verspielten – manche sagen unnützen – Verzierungen und Aufbauten. Das Quartier entstand im Höhepunkt der damaligen Immo-Blase.