Rede von Remo Bill als Alterspräsident zur Legislatureröffnung des Kantonsparlaments Solothurn 2025

«Ein Tisch ist ein Tisch - ein Parlament ist ein Parlament»
inspiriert von Peter Bichsel

1. Einstieg - «Ein Tisch ist ein Tisch»

Peter Bichsel hat eine Geschichte geschrieben, die heisst: «Ein Tisch ist ein Tisch».
Ein alter Mann ist unzufrieden mit der Welt - also beginnt er, den Dingen neue Namen zu geben. Der Tisch heisst nicht mehr Tisch, das Bett nicht mehr Bett, und die Zeitung nicht mehr Zeitung.
Am Anfang scheint das befreiend. Alles wird neu, leicht, anders.
Doch irgendwann merkt der Mann: Die Welt um ihn wird leer.
Denn Dinge verlieren ihre Bedeutung, wenn wir sie nicht mehr richtig benennen.
Diese Geschichte ist leicht, still, typisch Bichsel. Und doch sagt sie etwas sehr Tiefes:
Wir brauchen Ordnung, Orientierung. Sinn.

2. Vom Architekten zur Politik - zuerst kommt der Plan

Ich bin kein Schriftsteller wie Peter Bichsel - ich bin Architekt.
Das Wort Haus ist im ganzen deutschen Sprachgebiet ein Gebäude, das den Menschen als Unterkunft dient. Auch wenn die im Schächental aufgewachsene Bergbäuerin beim Wort Haus nicht das gleiche Bild vor Augen hat wie der Stahlwerkarbeiter aus Gerlafingen, der in einer Mietwohnung wohnt.
Man muss wissen, wofür man ein Haus baut. Es braucht eine Idee, Abmachungen und Absprachen mit dem Bauherrn oder der Bauherrin, die in einen Plan einfliessen. Ein Plan, der nicht auf billiges, schnelles und gewinnbringendes Bauen ausgerichtet ist. Sondern ein Plan, der qualitatives, nachhaltiges und kostenbewusstes Bauen beinhaltet zum Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner.
Man muss wissen, wer darin wohnt. Als Vertreter der Jura Südfuss Architektur von der Stahlbauweise überzeugt, muss ich auch offen sein für den Wunsch des Bauherrn ein Holzhaus zu bauen. Das Handwerk Bauen bleibt das gleiche, doch die neue Materie Holz fordert ein anderes, neues Planen.
Man kann nicht einfach loslegen! Für ein Bauprojekt braucht es eine Idee, einen Plan, einen Sinn.
Politik ist nicht anders. Auch wir beginnen heute wieder ein Bauprojekt. Nicht aus Stahl oder Holz, sondern aus Ideen. Das Projekt Verantwortung zu übernehmen. Nicht für uns - sondern für alle, die in diesem Kanton leben.
Und wie beim Bauen gilt: Der erste Schritt ist das gemeinsame Denken.

3. Das Parlament als Denkraum - nicht als Kulisse

Ein Parlament ist kein Ort für fertige Antworten. Es ist ein Raum für durchdachte Fragen. Ein Raum für Diskussionen. Ein Raum für sachlich fundierte Lösungen.
Und es ist nicht unsere Aufgabe, den Dingen einfach neue Namen zu geben, wie Bichsels müder alter Mann, damit er wieder etwas zu lachen hat.  Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam einen Plan zu entwickeln, der trägt. Einen Plan, der den Menschen im Kanton Solothurn Richtung gibt. Halt. Orientierung.
Dabei kommt es nicht darauf an, aus welcher Partei wir stammen.
Ob links oder rechts, Stadt oder Land - am Ende eint uns alle dasselbe Ziel:
Ein gutes Leben für die Menschen in diesem Kanton.
Wir müssen nicht einer Meinung sein. Aber wir müssen an einem Plan arbeiten. 

4. Die Welt wankt - und wir müssen Gegenhalt geben

Wir leben in einer Zeit, in der Vieles aus den Fugen geraten ist.
Ob es der Krieg in Europa ist, die Klimakrise, die zunehmende Polarisierung oder das Misstrauen gegenüber Institutionen - vieles ist in Bewegung, zu vieles ohne Richtung.
Wir können nicht alles lösen, was draussen geschieht. Aber wir können hier im Kleinen einen Gegenentwurf leben:
Stabilität statt Hektik. Verlässlichkeit statt Lautstärke. Und das gemeinsame Denken - statt bloßes Reagieren.
Wenn die Welt draussen lauter wird, dann müssen wir hier drinnen leiser, klarer und konsequenter werden.
In Zeiten wie diesen kann ich mir auch einfach eine Rede von einer künstlichen Intelligenz schreiben lassen.
Schnell, korrekt, vielleicht sogar elegant.
Aber sie weiss nicht, was gesagt werden muss.
KI kennt das Wort «Tisch» - aber nicht, was es heisst, sich an ihn zu setzen.
Sie kennt das Wort «Parlament» - aber nicht, was es heisst, Verantwortung zu tragen.
Technologie kann helfen. Aber denken - denken müssen wir selbst.
Denn Denken ist Voraussetzung, um Verantwortung zu übernehmen.

5. Der Plan für Solothurn – konkret, menschlich, tragfähig

Ein guter Plan muss passen.
Er muss zur Landschaft passen, zur Zeit, zur Bevölkerung.
Er muss finanzierbar sein - aber auch sozial. 
Er muss wirtschaftlich sein - aber auch menschlich.  
Das ist keine linke oder rechte Frage. Das ist eine Frage des gesunden Menschenverstands - und der gemeinsamen Verantwortung.
Wir bauen keine Parteiprogramme - wir bauen Zukunft.
Unsere politischen Grundhaltungen unterscheiden sich. Unsere Vielfalt ist ein Spiegel der Gesellschaft. Und das ist gut so.
Aber der Grund, weshalb wir hier sitzen, ist derselbe:
Wir sind gewählt, um gemeinsam etwas zu bauen, das hält.

6. Abschluss – Einladung zum Denken und Handeln

«Ein Tisch ist ein Tisch», sagt Bichsel.
Und «ein Parlament ist ein Parlament».
Es ist keine Bühne, kein Boxring, kein Schlagabtausch.
Es ist der Ort, an dem ein Plan entsteht. Und der muss und kann nicht jedem gefallen - aber er muss für alle funktionieren.
Wir sitzen nicht hier, um Recht zu haben. Sondern um gemeinsam weiterzukommen.
Wenn wir heute hier zusammen sind, dann ist das nicht nur der Anfang einer neuen Debatte/Legislatur - sondern der Anfang eines gemeinsamen Weges.
Die erste Skizze auf dem Planpapier.
Vielleicht ist es das, was wir aus Bichsels Geschichte lernen können:
Dinge verlieren ihre Bedeutung, wenn wir sie beliebig behandeln.
«Ein Tisch bleibt ein Tisch», wenn wir ihn nutzen.
«Ein Parlament bleibt ein Parlament», wenn wir darin arbeiten - gemeinsam, mit Haltung, mit Herz.
Und deshalb:
Lassen Sie uns jetzt diesen Plan gemeinsam zeichnen.
Mit Vernunft. Mit Verantwortung. Und mit Blick auf das, was wirklich zählt:
Die Menschen, für die wir das alles tun.
«Ein Tisch ist ein Tisch».
«Ein Parlament ist ein Parlament».
«Und Politik ist Verantwortung».  

Fangen wir an.
Danke.

 


Grenchen, 06. Mai 2025 I Bill